50 Jahre 68er: Interview mit Gretchen Dutschke
50 Jahre 68er: Interview mit Gretchen Dutschke
Mitte der 60er-Jahre kommt eine junge Amerikanerin nach Berlin – eigentlich nur, um Deutsch zu lernen. Dann trifft sie den Studentenführer Rudi Dutschke und wird zu einer zentralen Figur der 68er-Bewegung. 50 Jahre nach dem Attentat auf ihren Mann erzählt die heute 76 Jahre alte Gretchen Dutschke, was Studierende damals antrieb.
Frau Dutschke, wann waren Sie zum letzten Mal an einer Uni?
Letzte Woche war ich an der Freien Universität Berlin, an der ich früher Theologie studiert habe. Das war für eine Sendung, in der mein neues Buch vorgestellt wurde. Morgen geht es wieder hin. Auch als ich für mein Buch geforscht habe, war ich dort öfter in der Bibliothek. Im Moment bin ich also ziemlich ausnahmsweise wieder ziemlich viel an der Uni.
Was fällt Ihnen an den heutigen Studierenden auf?
Wenn ich politisch engagierte Studierende treffe, erkenne ich ehrlich gesagt keine allzu großen Unterschiede zu uns damals. Klar, heute sieht man viele junge Leute ständig mit Smartphone in der Hand, das gab es damals natürlich nicht. Wir hatten nur Bücher und Theorien. Heute hat man sicher weniger Zeit zum Lesen, wenn man so viel Zeit in den sozialen Netzwerken verbringt. Vielleicht ist auch der Drang gerade nicht so groß, etwas zu verändern. Die Studenten leben schließlich in einer Gesellschaft, die immer noch sehr geprägt ist von der antiautoritären Bewegung. Aber trotzdem glaube ich, dass die jungen Menschen heute gegen ähnliche Probleme kämpfen wie wir damals.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel gegen die kapitalistische Gesellschaft und den damit verbundenen Konsumzwang. Der Kapitalismus ist heute viel globaler als in den 60er-Jahren. Damals konnte er noch expandieren; heute wird sichtbar, dass die Grenzen des Wachstums erreicht sind, und vielleicht kann das für die junge Generation der Ausgangspunkt für eine neue große Protestbewegung sein. Viele Menschen bekommen mittlerweile die Folgen wirtschaftlicher Krisen zu spüren – noch nicht unbedingt in Deutschland, aber in vielen anderen europäischen Ländern und weltweit. Vielleicht ist jetzt ein Punkt gekommen, an dem man Antworten finden kann auf Fragen, auf die wir damals noch keine Antworten hatten.
Trotzdem ist die hochschule heute nur noch für wenige ein politischer Ort. so ist die Beteiligung bei Wahlen zu Studierendenparlamenten extrem niedrig. Woher kam damals dieser Wille zu Veränderungen?
Das lag sicherlich vor allem daran, dass wir gerade die Nazi-Zeit hinter uns hatten, viele meiner Bekannten waren noch unter Hitler geboren. Die Vorstellung, dass die eigenen Eltern sich womöglich an den Verbrechen beteiligt hatten, war ein großer Schrecken. Das hat einen wahnsinnig getroffen. Und dann gab es zum Beispiel mit den Vertretern der Frankfurter Schule Theoretiker, deren Texte eine direkte Reaktion auf die Nazi-Zeit waren. Mit denen haben wir uns natürlich sehr intensiv beschäftigt.
Profitieren junge Menschen heute noch von Ihrer Bewegung?
Ja, denn wir haben den Weg dafür geebnet, dass sie freier sind als junge Menschen meiner Generation es je gewesen sind. In den 60ern konnten beispielsweise Wohnungsbesitzer ins Gefängnis kommen, wenn sie ihre Räume an unverheiratete Paare vermietet haben. Heute hingegen wird es akzeptiert, wenn Menschen außerhalb fester Beziehungen gemeinsame Kinder haben, es gibt die Homo-Ehe und viele weitere Errungenschaften. Auch die Situation der Frauen ist besser geworden. Natürlich gibt es noch viele Probleme, aber allgemein werden Frauen heute ernster genommen, haben die Chance auf gut bezahlte Jobs – die Frau meines Sohnes beispielsweise verdient deutlich mehr als er. Das ist ein großer Unterschied zu damals, als erwartet wurde, dass die Frau zuhause bleibt und putzt, während der Mann arbeitet. Vor allem aber glaube ich, dass sich die Einstellung zur Demokratie geändert hat. Die deutsche Gesellschaft ist durch uns offener, freier und toleranter geworden.
Auch das Konzept der „Kommune“ spielte damals eine große Rolle. Heute denken viele dabei an Rainer Langhans oder Uschi Obermaier. ursprünglich stammte die Idee aber von Ihnen. Was wollten Sie erreichen?
Ich war der Meinung, dass die Situation der Frauen im Sozialistischen Studentenbund SDS, in dem Rudi und ich aktiv waren, sehr schlecht war. Die Einstellung vieler Männer gegenüber Frauen war dort kein bisschen besser als in der restlichen Gesellschaft, sie haben die Frauen oft einfach beiseitegeschoben. Ich habe dann von den ersten Kommunen in den USA gehört und gedacht, dass wir das doch auch mal versuchen könnten. Ich dachte mir, wenn man zusammenwohnt, kann alles gleichmäßiger verteilt werden – das Lesen von Theorien zum Beispiel, aber eben auch Dinge wie Hausarbeit und Kindererziehung. Ich hatte gehofft, das würde so funktionieren.
Und hat es das?
In der Kommune 1 nicht, nein. Das lag vor allem an Männern wie Dieter Kunzelmann, die alles bestimmen wollten. Ich war damals wirklich unglücklich, als ich erfahren habe, dass er extra nach Berlin kommen wollte, um die Kommune mit aufzubauen. Aber wir konnten natürlich schlecht sagen: „Du bist ein Macho, du darfst nicht mitmachen.“ Viele Frauen, die in der Kommune 1 gewohnt haben, haben dann später auch gesagt, dass es schlimm war. Ich glaube aber, dass aus der Grundidee heraus später viele ganz unterschiedliche Wohngemeinschaften entstanden sind, in denen dann wirklich versucht wurde, gleiche Rechte auf allen möglichen Ebenen durchzusetzen. Insofern hatte die Idee langfristig schon eine sehr positive Wirkung auf die Beziehung zwischen Männern und Frauen.
Ihr im März 2018 erschienenes Buch trägt den Titel „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“. Eine Gegen-frage: Worauf sind Sie nicht stolz?
In den 70er-Jahren gab es einige sich abspaltende Gruppen
wie die Maoisten, die Stalinisten und die Leninisten. Das fand ich furchtbar. Oder die Terrorgruppe RAF. Wir hätten das nicht verhindern können, das entwickelte sich ja alles erst nach dem Attentat auf Rudi. Aber dass unsere Bewegung sich überhaupt in diese Richtung entwickelt hat, war sehr unglücklich. Darauf bin ich überhaupt nicht stolz. Diese Leute haben vieles von dem kaputtgemacht, was wir aufgebaut hatten. Auf der ande-ren Seite gab es die Frauenbewegung, die diesen Rückgang einfach nicht mitgemacht, sondern antiautoritäre Ideen weiter-entwickelt hat. Sie hat die Gesellschaft, die sehr steif und noch von Nazis geprägt war, demokratischer gemacht. Darauf kann man wiederum stolz sein.
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eigentlich auf uns zu? Prof. Dr. Christian Stummeyer – unter anderem Inhaber der Professur
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Antworten.