Aktivist Jakob Springfeld im Interview

„Zu wissen, dass wir viele sind, bestärkt mich“

Foto: Calvin Thomas

Jakob Springfeld (21) stammt aus Zwickau, einer Stadt in Sachsen, in der die Rechte besonders stark ist. Der Student engagiert sich gegen sie – unter anderem mit seinem Buch „Unter Nazis“, aus dem er bundesweit liest. Im Interview spricht er über seine Motivation, seine Ängste und was ihn immer weitermachen lässt.


Jakob, gab es einen Auslöser für dein Engagement gegen Rechts?

Es gab einige Momente, die mich politisch geprägt haben. Einer der wichtigsten war das ehrenamtliche Aktivwerden meines Vaters in der Geflüchtetenarbeit. Er hat beim Ausfüllen von Anträgen geholfen und organisierte Austauschabende. In dieser Zeit lernte ich Mostafa kennen. Er war aus Afghanistan geflüchtet und verlor im Mittelmeer seine kleine Schwester. Als er mir erzählte, dass die Kontinuität von Gewalt mit der Ankunft in Zwickau, in Form von Rassismus, noch nicht vorbei sei, hat das ziemlich viel mit mir gemacht. Wenn du Menschen wie Mostafa kennst, dann musst du schon ein ziemlich ignorantes Arschloch sein, wenn dich Nachrichten über rechte Gewalt einfach kaltlassen. Haltung zu beziehen, war für mich logische Konsequenz, gerade weil in dieser Zeit in meiner Heimatstadt Zwickau viele extrem-rechte Demos stattfanden.

Dort ist auch der NSU untergetaucht. Was hat dieser Fakt mit dir gemacht?

Zunächst erstmal gar nicht so viel. Wächst man wie ich weiß und privilegiert auf, dann kann man Rassismus und rechte Gewalt gut ausblenden. So war‘s bei mir auch mit dem NSU, denn auch in der Schule hatten wir nichts darüber gehört. Erst durch die Politisierung merkte ich, wie nah der rechte Terror an mir dran war. Meine Grundschulliebe und ihre Familie wohnten direkt neben einem der drei Wohnorte des NSU-Kerntrios in Zwickau. All das führte mir vor Augen wie wichtig eine ehrliche Gedenk- und Erinnerungskultur ist, die nicht nur Selbstzweck sein sollte, sondern das Leben für von Diskriminierung betroffene Menschen im Jetzt verbessern muss.

Dein Buch „Unter Nazis“ beginnt mit einer mehrseitigen Namensliste der Opfer rechter Gewalt. Warum war dir diese Erwähnung wichtig?

Ich wollte zeigen, dass man die Geschichten von Anfeindungen, Bedrohungen und dem Stress mit Faschos immer im Kontext einer langen Kontinuität rechter Gewalt in diesem Land sehen sollte. Eine Kontinuität, die immer wieder zu Morden führt. Namen und Menschenleben, die beschreiben, dass diese Morde eben keine Einzelfälle sind. Mir ist außerdem wichtig, dass sich das kollektive Bewusstsein in eine Richtung entwickelt, in der wir den Schwerpunkt nicht mehr auf die Namen und Gesichter der Täter legen, sondern auf die Menschen, die durch rechten Terror ermordet wurden. Immer wieder frage ich, auch an Schulen, ob die Zuhörenden den Namen Beate Zschäpe kennen. Meistens melden sich dann sehr viele Leute. Frage ich im Anschluss nach Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç oder Mehmet Turgut, dann melden sich die wenigsten. Das darf so nicht bleiben.


In „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“ erzählt Jakob Springfeld von seinen Erfahrungen mit Hass und Gewaltandrohungen. Er macht aber auch das andere Gesicht Sachsens sichtbar. Jenes, das für Toleranz, Antirassismus und Demokratie steht (2022, Quadriga Verlag, Co-Autor Issio Ehrich).

Regelmäßig liest du aus deinem Buch und engagierst dich in Bündnissen. Bist du dabei oft Anfeindungen ausgesetzt?

Ja, dieses Risiko ist – gerade im ländlichen Raum – Alltag. Vor einer meiner Lesungslocations in Bautzen standen in Teilen vermummte Neonazis. Ich bekomme Hasskommentare wie „Jacob der Gutmensch / nicht verbieten gleich vergasen“. Zielscheibe für die extreme Rechte zu sein, das macht natürlich Angst. Doch in Zeiten von Kriegen, Nazi-Aufmärschen oder Klimakrise muss man nicht von Anfeindungen betroffen sein, um manchmal Angst zu haben. Durch Bündnisse wie die „Solidarische Vernetzung Sachsen“ lernt man, damit umzugehen. Man wird vorsichtiger, stumpft ab. Zu wissen, dass wir viele sind und dass die Angst nicht nur auf meinen Schultern lastet, bestärkt mich. Meine Klappe halten und mich zurückziehen – das kommt für mich nicht infrage.

Heute lebst du in Halle und studierst dort Soziologie und Politikwissenschaft. Möchtest du irgendwann zurück in deine Heimatstadt?

Irgendwann schon, aber ehrlicherweise wird das immer schwieriger für mich. Durch die Bedrohungslage wäre es aktuell nicht vorstellbar. Ich habe auch noch keine beruflichen Ziele, sondern nur politische. Heißt: das Leben für Betroffene verbessern, für klimagerechte Politik sorgen und gegen extrem-rechte Bewegungen kämpfen.

Das tun seit Bekanntwerden des Geheimtreffens von Rechtsextremen im November 2023 auch Menschen in ganz Deutschland, indem sie auf die Straße gehen. Befürchtest du, dass das wieder einschläft?

Ich hoffe natürlich auf Veränderung und dass es nicht bei einmaligen Leuchtturmdemos bleibt. Was die Demos aber schon jetzt bewirkt haben, ist ein neues Gefühl von Hoffnung – gerade auch im ländlichen Raum. Die Menschen gehen auf die Straßen und das eben auch in Pirna, in Bautzen oder im Erzgebirge. Dort, wo die letzten Monate und Jahre oft von Angst, Frustration und Resignation geprägt waren, sehen die Menschen endlich wieder, dass sie viele sind und dass sie, wenn sie sich zusammenschließen, einen Unterschied machen können. Viele haben nicht mehr daran geglaubt, dass man das Ruder hin zu einer AfD-Machtbeteiligung noch irgendwie herumreißen kann. Das ist jetzt anders und diesen psychologischen Effekt sollte man nicht unterschätzen.

Was kann man neben dieser Form des Protests als Mitglied der Zivilgesellschaft noch tun?

Betroffenen von Diskriminierung und Antifaschist*innen muss der Rücken gestärkt werden: durch Unterstützung bei Demos, durch Zuhören, durch Geld. Wehrhaft demokratisches Engagement muss beim Einschreiten, wenn ein rassistischer Kommentar beim Familiengeburtstag fällt, beginnen und im Mitmachen in Demokratie-Initiativen weitergehen. Organisiert euch in Gewerkschaften, Parteien oder im Geflüchteten-Treff um die Ecke!

Mit welchen Gedanken blickst du auf 2024 und die drei Landtagswahlen im Osten?

Ich plädiere ich dafür, auf das Schlimmste gefasst zu sein und trotzdem den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Wir müssen vom Land geförderte Demokratie-Initiativen zivilgesellschaftlich absichern und uns klar werden, dass unser Engagement mit einer AfD-Machtbeteiligung keinesfalls vorbei wäre, sondern gerade dann umso wichtiger ist. Von Diskriminierung Betroffene Menschen haben auch nicht alle die Wahl einfach so wegzuziehen. Die aktuellen Proteste geben jedoch Hoffnung, dass dieses Szenario noch zu verhindern ist – und das ist, was zählt.