Sexismus an der Uni
Sexismus an der Uni
2017 war wie ein lautes Ja auf die Frage, ob wir Feminismus heutzutage noch brauchen. Und als am Ende des Jahres von Hollywood bis ins Europaparlament Vorwürfe von sexueller Belästigung laut wurden, habe ich mich gefragt, wie viele Schauspielerinnen, Politikerinnen, Lehrerinnen und Polizistinnen durch sexistische Machtstrukturen in ihren Karrieren ausgebremst werden. Und wie präsent diese Strukturen im Uni-Alltag sind.
1. Geschichten aus dem Uni-Wald
Noch bevor ich meine allererste Vorlesung besuche, werden mir Horrorgeschichten über den kleinen Wald, der die Universität umgibt, erzählt. Die Geschichten variieren jedes Mal ein bisschen, als hätte man mit ihnen stille Post gespielt. Mal lauert dort abends ein böser Mann auf junge Frauen, mal wirft er einen Ast in die Speichen des Fahrrads einer Studentin. In einer Version der Geschichte setzt sie sich schnell wieder auf ihren Sattel und rast nach Hause. In einer anderen vergewaltigt er sie. Noch vor dem Semesterstart bin ich verwirrt und weiß nicht, welche Version nun der Wahrheit entspricht. Aber sowie ich zur Einschreibung im Uni-Foyer Schlange stehe, fällt mein Blick auf ein kleines Schild: „Hier Treffpunkt für den gemeinsamen Heimweg bei Dunkelheit. Jede halbe und volle Stunde.“
2. Homosoziale Reproduktion
Wenn ich mich in meinen Vorlesungen umsehe, sitzen da zu 90 Prozent Frauen. Richte ich den Blick nach vorne, sehe ich zu 90 Prozent Männer. Sogar in meinen Gender-Seminaren, für die ich regelmäßig von den Freunden meiner Mitbewohnerinnen aufgezogen werde, habe ich fast ausschließlich männliche Dozenten. Als der zehnte feist grinsende Wirtschaftsstudent fragt, wie es in den Seminaren mit den Lesben und Männerhasserinnen so zugeht, will ich ihm für die Frage in die Eier treten. In der Soziologie nennt man das homosoziale Reproduktion. Also nicht das in die Eiertreten, sondern das Besetzen von Jobpositionen nach dem Prinzip der Ähnlichkeit. Ex-Telekom-Manager Thomas Sattelberger attestierte schon vor Jahren dem deutschen Arbeitsmarkt, dass dieser Frauen, egal wie gut ausgebildet, am Aufsteigen hindert: „Die subtile, teilweise unbewusste Diskriminierung ist immer noch vorherrschend. Männerzirkel suchen bei Besetzungsentscheidungen nach Ähnlichkeit. Sie entscheiden sich nicht aus Böswilligkeit, sondern aus verengter Erfahrung und Perspektive heraus für das, was sie kennen.“
3. Stockholm-Syndrom
Der erste Sommer im Studium. Die Sonne wärmt den Rhein und lässt meine Hemmungen schmelzen, sodass ich nach einer durchfeierten Nacht mit fremden Studenten und einer Studentin nackt baden gehen möchte. Noch bevor mein Kleid fallen kann, gerate ich irgendwie mit der Modestudentin und ihrem festen Freund in eine Diskussion über die Frauenquote. Ich will die lockere Trunkenheit zurück, aber kann nicht anders, als wie eine Furie zu argumentieren, zu erörtern, zu belegen. Spreche über jene homosoziale Reproduktion sowie über sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz und über all die Mechanismen, die die gläserne Decke weiter zementieren. Er lehnt sich dabei gelassen zurück, während seine Freundin ein rührendes Plädoyer auf Frauen hält, die trotz aller Hindernisse erfolgreich sein können und sich eben besonders anstrengen müssen. Sie stößt mir kumpelhaft und mit übereifrigem Lächeln ihren Ellbogen in die Seite: „Aber wir beide, wir schaffen das!“ Ich lehne mich etwas vor, gucke ihr tief in die Augen und flüstere: „Zwinkere zweimal, falls sie dich als Geisel halten.“
4. Ehefrauchen statt Vorstand
In einem Workshop zur Stärkung von Führungsqualitäten bei Frauen, an dem ich in meinem dritten Semester teilnehme, sprechen wir darüber, wie wir durch eine Arbeitswelt nach oben navigieren können, die nie für uns gedacht war. Am zweiten Tag meint eine Kommilitonin lachend, dass das zur richtigen Gruppentherapie wird. Und es stimmt: Jede einzelne kann von Sexismus im Uni-Alltag berichten.
Eine Soziologie-Studentin erzählt, dass sie sich für ein Auslandssemester an der Yale Universität bewerben wollte, aber der Dozent, den sie um ein Empfehlungsschreiben gebeten hatte, sie mit der Begründung abwies, sowas würde er nur für besonders gute Studierende machen. Als sie fragte, ob ihre 1,5 nicht ausreicht, lächelte er und schlug ihr vor, sich irgendwo an einer schlechteren Uni an der Westküste zu bewerben. Sie will gerade frustriert aufstehen und gehen, da fragt er sie süffisant grinsend, ob ihr Freund an der amerikanischen Ostküste lebt. Sie verneint, verwirrt von dieser Frage, dieser ganzen Situation. „Na los, geben Sie es schon zu, weswegen würden Sie sonst so auf Yale beharren? Ich kenn das doch von Studentinnen, es geht um einen Mann. Aber Männer, meine Liebe, gibt es auch an der Westküste.“
5. Frauen zurück an den Herd
Ich fahre mit der Straßenbahn nach Hause. Als diese für einen Moment an einer Ampel hält, fällt mir ein Graffiti an einer Hauswand auf. In Lila steht da unter dem Venussymbol „Feminism x Anarchy“ – und darüber, in unsicherer Druckschrift mit schwarzem Edding „Frauen zurück zum Herd“. Ein paar Tage später fahre ich an derselben Stelle vorbei, leicht genervt davon, dass wohl selbst diese Wand verhindern will, dass Frauen gleiche Karrierechancen und eine Prise Anarchie genießen können. Aber als ich hinsehe, entdecke ich, dass der Spruch korrigiert wurde: „Frauen zurück zum Pferd! Auf in den Kampf!“ Ein perfektes Motto für die Zukunft.
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