Corona und das digitale Studium: „Deutschland spielt in der dritten Liga“

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Uni neu denken

Was die Hochschullehre aus der Corona-Krise lernen sollte

Corona und das digitale Studium: „Deutschland spielt in der dritten Liga“

Die Corona-Krise zwingt Hochschulen gerade dazu, den Lehrbetrieb zu digitalisieren. Endlich, sagt Jürgen Handke. Der ehemalige Anglistik-Professor von der Universität Marburg plädiert schon seit Jahren für mehr E-Learning und weniger Frontalunterricht.

Herr Prof. Dr. Handke, aktuell läuft das „virtuelle Semester“. Kann das beim derzeitigen Stand der Digitalisierung an deutschen Hochschulen überhaupt funktionieren?

Die Frage ist doch eher: Kann die aktuelle Lehre quantitativ und qualitativ mit der aus Vor-Corona-Zeiten mithalten? Ich meine, nein. Denn die klassischen Formate, um Inhalte zu vermitteln und zu erschließen, sind derzeit nicht gegeben. Alles was man jetzt macht, sind gut gemeinte Ersatzmethoden, bei denen sich Dozenten vor Kameras setzen und über digitale Plattformen versuchen, mit ihren Studierenden zu kommunizieren. Das allerdings kommt oft kaum über eine Art Sprechstunde hinaus. Das hätte vermieden werden können, wenn man viel früher mit der wirklichen Digitalisierung der Hochschullehre begonnen und nicht jahrelang über Strategien geredet hätte.

Rächt sich das jetzt?

Absolut. Verglichen mit anderen europäischen Staaten spielt Deutschland, so meine Einschätzung, in Sachen Digitalisierung in der dritten Liga. Umso bitterer ist es, dass erst die Not hinzukommen musste, um die Digitalisierung der Hochschullehre voranzutreiben. Allerdings mit einem Hindernis: der Zeit. Kaum hatte man erfahren, dass die Lehre im Sommersemester nicht wie bisher funktionieren wird, hat man sofort an nichts anderes gedacht, als an die sogenannten „virtuellen Präsenzphasen“. Phasen also, in denen eine Computerpräsenz der Studierenden verlangt wird. Neue Formate, die auf digitalen Elementen beruhen, spielen dabei keine Rolle. Beziehungsweise können kaum so schnell entwickelt werden.

Welche digitalen Methoden haben Sie denn benutzt?

Vor allem den Inverted Classroom. Über Videos, Podcasts oder digitale Skripte eignen sich die Studierenden das Wissen selbstständig zuhause an. In einer anschließenden Präsenzphase wird dieses dann gemeinsam vertieft. Die Präsenzphasen sind also frei von PowerPoint-Präsentationen, denn es geht nicht mehr um Wissensvermittlung. Für mich der ideale Weg in eine digitale Zukunft der Hochschullehre.

Auch humanoide Roboter haben Sie in den Hörsaal gebracht.

Ja, diese sind hervorragende Partner während der Präsenzphasen und können die Studierenden beim Kompetenztraining oder bei Analyse- und Rechercheaufgaben begleiten. Außerhalb des Lehrgeschehens kann ein humanoider Roboter Informationen bereitstellen, an die Studierende sonst nur schwerlich herankommen. In einer „Roboter-Sprechstunde“ erfahren sie so einiges über ihren Lernfortschritt, aber auch über banale Dinge wie Prüfungsdaten.

Wäre für Sie eine reine Online-Lehre denkbar?

Nein, ein universitäres Leben ohne Campus, Mensa und Präsenzphasen kann ich mir nicht vorstellen. Der direkte soziale Kontakte unter den Studierenden, aber auch zwischen Studierenden und Dozenten ist ungemein wichtig. Bedenkt man aber, dass in mehr als 50 Prozent der Lehrveranstaltungen in Deutschland jemand frontal Inhalte vorträgt, dann kann man schnell erahnen, welch großes Potenzial in der Digitalisierung der Lehre schlummert.