Wo wohnen?
Wer während des Studiums nicht weiter im Kinderzimmer leben will oder kann, braucht oft starke Nerven. Denn Plätze in Wohnheimen sind knapp und auch die WG-Suche ist – vor allem in großen Unistädten – für viele eine Qual. Dabei gibt es durchaus alternative Wohnformen, die obendrein auch preisgünstiger sind. Wir stellen einige davon vor.
Nach vier Online-Semestern sind die Studierenden zurück an den deutschen Unis – und würden gerne in ihren Hochschulstädten wohnen. Nur: Bezahlbarer Wohnraum ist absolute Mangelware. Die Mieten für Studi-Wohnungen sind in den letzten Jahren drastisch angestiegen, allein in 2021 um durchschnittlich 5,9 Prozent. Mit 18,5 Prozent waren die Mietsteigerungen in Berlin besonders extrem. Zwar wurde zum aktuellen Wintersemester die BAföG-Wohnkostenpauschale auf 360 Euro erhöht, doch reiche diese laut Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks (DSW), „in den allermeisten Hochschulstädten vorne und nicht“. In München, der teuersten Hochschulstadt, zahlen Studis im Schnitt 787 Euro für eine Wohnung. Zu den hohen Mieten kommen in den nächsten Monaten aller Voraussicht nach enorme Preissteigerungen bei Strom, Gas und Lebensmitteln hinzu.
Die günstigste Wohnform ist – abgesehen vom Elternhaus – das Zimmer im Wohnheim. Hier betrug die Miete laut dem DSW 2020 im Schnitt rund 263 Euro inklusive Nebenkosten. Doch gibt es davon viel zu wenige. Während die Zahl der Studierenden seit 2007 um 52 Prozent gestiegen ist, hat sich die Zahl der öffentlich geförderten Wohnheimplätze lediglich um neun Prozent erhöht. Das geht aus einer Untersuchung des DSW hervor. Derzeit gibt es bundesweit rund 239.000 staatlich geförderte Wohnheimplätze für Studierende, davon 196.000 bei den Studenten- und Studierendenwerken. 10.000 Plätze sind bei ihnen aktuell in Planung oder im Bau.
Kein Wunder, dass bereits Mitte September, noch vor dem Start des Wintersemesters, zehntausende Studierende auf einen Wohnheimplatz warteten. Allein in München standen laut DSW zu diesem Zeitpunkt 15.000 auf den Wartelisten. Angesicht der extrem angespannten Wohnsituation fordert das DSW neben einer raschen BAföG-Erhöhung, dass das geplantes Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ unbedingt zum 1. Januar 2023 startet, mit dem unter anderem neue Wohnheimplätze geschaffen werden sollen. Damit könne laut DSW zumindest mittelfristig Abhilfe geschaffen werden.
Studierende bauen selbstverwaltetes Wohnheim
Die aktuelle Lage zwingt Studierenden dazu, in Sachen Wohnen mitunter kreativ zu werden. Wie Laetitia Diehl und ihre Mitstreiter:innen, die ihr eigenes Wohnheim bauen. In Heidelberg entsteht zurzeit das neue Collegium Academicum (CA), ein selbstverwaltetes Wohnheim, das bezahlbaren Wohnraum für über 170 Studierende und Auszubildende bieten soll. Neben einem Holzneubau gehören auch zwei Altbauten dazu, die saniert werden. Vieles machen die Studierenden, die sich im Projekt engagieren, selbst. Neben unterschiedlich großen Wohneinheiten entstehen auf dem 6.600 Quadratmeter großen Gelände auch Gemeinschaftsflächen, die zum Beispiel für Bildungs- und Kulturveranstaltungen genutzt werden sollen. Alle, die sich an dem Projekt beteiligen, leisten einen Beitrag zur Entstehung des CA – und haben ein Mitsprachrecht.
Das Projekt, das bereits 2013 gestartet ist und sich unter anderem durch Direktkredite von Privatpersonen und Spenden finanziert, war einer der Gründe, warum Laetitias Wahl auf Heidelberg als Studienort fiel. Seit letztem Sommer ist die 19-Jährige dabei und übernimmt die unterschiedlichsten Aufgaben. Von Telefondienst über Koordination der Workcamps in den Semesterferien bis zu handwerklichen Arbeiten – es gibt immer etwas zu tun. Der basisdemokratische Anspruch erfordert viel Kommunikation, schafft aber auch einen engen Zusammenhalt. „Durch einen bewusst wertschätzenden Umgang und eine gesunde Diskussionskultur sind wir aus den meisten Konfliktsituationen gestärkt hervorgegangen“, berichtet Laetitia, die Biochemie im ersten Semester studiert.
Immer wieder sehen sich die Studierenden Herausforderungen gegenüber, etwa, was die Finanzierung betrifft. „Durch die aktuelle geopolitische Lage kommt es auch bei uns immer wieder zu Lieferengpässen und Verzögerungen. Das ist natürlich frustrierend. Doch meistens schaffen wir es, gegenzusteuern und die Wogen zu glätten.“ Zahlreiche schöne Momente hätten Laetitia und die anderen Studierenden bereits miteinander erlebt. „Das erleichterte Seufzen, wenn das gefräste Brett genau passt. Das zufriedene Aufatmen, wenn die Nudeln in der improvisierten Küche auf der Baustelle nicht im Topf festbrennen. Die Freude über neue Direktkredite.“ Sie hofft, dass das Collegium Academicum andere zu ähnlichen Projekten inspirieren wird. Die ersten Bewohner:innen sollen Anfang 2023 einziehen. Laetitia wird ihre WG mit zwei Mitbewohnerinnen und so vielen Zimmerpflanzen wie möglich teilen und kann es kaum erwarten, die Gemeinschaftsflächen wie die selbstverwalteten Gärten zu nutzen. „Ich bin gespannt, ob wir es schaffen, die Begeisterung und den Zusammenhalt von der Baustelle in den Wohnheimalltag zu integrieren. Ich freue mich sehr darauf, ein aktiver Teil dieses Versuches zu sein.“
Doch es muss nicht gleich ein ganzes Wohnheim sein. Wer bei TikTok oder Instagram nach dem Hashtag #tinyhouse sucht, wird dabei auch immer wieder auf Studierende stoßen, die sich ihr eigenes Mini-Haus gekauft oder sogar selbst gebaut haben. Die Dortmunder Studentin Antonella Heidel (TikTok: @nellhei96) zum Beispiel besitzt solch ein klitzekleines Eigenheim, das auf 36 Quadratmetern Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer unter einem Dach vereint. Oder Stella van Beers (Instagram: @stellavanbeers). Während ihres Designstudiums wandelte die Niederländerin ein ehemaliges Getreidesilo in ein winzig-stylisches Zuhause um.
„Wer studiert und nicht bei den Eltern lebt oder finanziell von seiner Familie unterstützt werden kann, hat wenig Geld – das ist doch überall auf der Welt so“, sagt Diana Rocío Garcés Mondragón. Die 28-Jährige macht gerade ihren Master in Medizinmanagement in Essen. „Ich versuche, auf gesunde Ernährung zu achten, um im Studium leistungsfähig zu sein.“ Doch mit rund 900 Euro, die Studierende in Deutschland im Durchschnitt zur Verfügung haben, sei das nicht jeden Tag möglich. Dank des gemeinnützigen Vereins „Tausche Bildung für Wohnen e.V.“ muss sich Diana ein Jahr lang keine Gedanken über Miete und Nebenkosten machen. Als Bildungspatin betreut sie Schüler:innen von der ersten bis zur siebten Klasse und hilft ihnen an zwei Nachmittagen in der Woche bei den Hausaufgaben und beim Lernen. Im Gegenzug wohnt Diana mietfrei in einer WG mit drei anderen Bildungspat:innen. Die Wohnung stellt der Verein zur Verfügung.
Mit dem Programm sollen benachteiligte Kinder und Jugendliche, die in Armut aufwachsen, unterstützt werden. Viele der Kinder haben einen Geflüchtetenhintergrund, manche von ihnen sprechen kein Deutsch. Mittlerweile ist das Projekt an fünf Standorten in Nordrhein-Westfalen aktiv. Als Bildungspat:innnen können sich nicht nur Studierende und Auszubildende sondern auch Teilnehmer:innen des Bundesfreiwilligendienstes bewerben. „Das Wichtigste ist, dass man geduldig ist und Empathie für die Kinder hat“, sagt Diana, deren Mutter in ihrer Heimat Mexiko-Stadt als Grundschullehrerin arbeitet. Bevor sie ihr Studium begann, arbeitete sie ein Jahr lang als Au-pair bei einer Familie in Hamburg, wo sie den Kindern ebenfalls bei den Hausaufgaben half. Die Teilnahme an dem Projekt sieht sie nicht nur wegen der kostenlosen Wohnmöglichkeit als Gewinn. „Die Schüler:innen profitieren von der Förderung und wir Pat:innen von der Befriedigung, jemandem zu helfen.“ Nun hofft Diana, dass ihre Bewerbung um ein Stipendium und ihr BAföG-Antrag erfolgreich sein werden, damit die Finanzierung ihres Studiums auch im nächsten Jahr gesichert ist.
Die etwas andere Wohngemeinschaft
Putzpläne, an die sich niemand hält, laute WG-Partys während der Klausurphase, Streit über die Stromkostenabrechnung: Das Leben in einer Studi-WG ist nicht für jede:n etwas. Eine Wohngemeinschaft kann jedoch auch ganz anders aussehen. Bei „Wohnen für Hilfe“ vermieten überwiegend ältere Menschen, die Unterstützung im Alltag benötigen, kostenfrei Zimmer an Studierende. Im Gegenzug übernehmen die Studierenden Aufgaben im Haushalt, gehen einkaufen oder mähen den Rasen. Das Projekt gibt es mittlerweile in vielen Universitätsstädten. Josephine Brenner hat ihr gesamtes Studium in solchen Wohnpartnerschaften verbracht. „Ich bin immer noch begeistert von der Idee: Junge Menschen, die Zeit und Energie haben, helfen Menschen mit Unterstützungsbedarf, die dafür Wohnraum zur Verfügung stellen.“
Den Beginn ihres Studiums verbrachte sie in Köln bei einer Familie mit drei Kindern. Sie half bei den Hausaufgaben, fuhr die Kinder regelmäßig zum Sport oder zur Schule. Im Gegenzug bewohnte sie mietfrei ein Zimmer im Haus der Familie. Anschließend zog sie nach Freiburg, wo sie sich gemeinsam mit einem älteren Herrn um dessen Schwarzwaldhof kümmerte. Später wohnte sie bei einem Ärztepaar, dem sie beim Kochen, dem Sauberhalten der Wohnung und im Garten half. Alle drei Wohngemeinschaften bezeichnet Josephine als bereichernd. „Auch vermeintliche Kleinigkeiten wie einen Brief zur Post bringen, beim Tragen der Einkäufe helfen, etwas reparieren oder schlicht das beruhigende Wissen, dass noch jemand im Haus ist, haben immer Freude und Dankbarkeit bei meinen Mitbewohner:innen hervorgerufen.“ Die gegenseitige Unterstützung in einem solchen Wohnprojekt sei eine andere als in mancher WG. Ein weiterer Vorteil: „Alltägliches Aufräumen, Saubermachen – das sind Selbstverständlichkeiten, die keine regelmäßige Auseinandersetzung erfordern“, sagt die 28-Jährige, die Erziehungswissenschaft studiert hat. „Ich kann das Modell allen empfehlen, die Lust auf eine etwas andere Form des Wohnens haben, die sich gerne einbringen und Spaß am Miteinander mit unterschiedlichen Altersgruppen haben. Und wer sich nicht sicher ist, ob das was Passendes ist, einfach ausprobieren!“