Deichkind im Interview

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„Wir sind Stümper. Wir können nichts.“

Foto: Studio Schramm Berlin

Deichkind im Interview

Wer sagt denn, dass Treffen mit Deichkind immer im Exzess enden müssen? Wir haben die Hamburger Band – bestehend aus Philipp Gütering alias Kryptik Joe, Sebastian Dürre alias Porky und Henning Besser alias La Perla – zu einem recht ernsthaften Interview getroffen.

Porky: Sag mal, findest du, dass wir eine Party-Band sind oder was sind wir für dich? Darüber haben wir uns vorhin unterhalten.

Man kann zu eurer Musik auf jeden Fall Party machen. Und eure Shows und Outfits sind legendär.

 La Perla: Ja, wir sind da von Anfang an in den Exzess reingegangen und haben dann begonnen, den Exzess Stück für Stück zu ästhetisieren. Bei unserer neuen Show lautet das Thema „Tableau vivant“ – das lebende Gemälde. Ich habe mir viele Ausstellungen angesehen und war fasziniert von Farben. Die Show wird also sehr bunt. Bei unserer letzten Tour war die Show fast puristisch, nur Schwarz und Weiß. Wir werden nun versuchen, ein lebendiges Gemälde zu schaffen. Mit Kostümen, mit Licht und mit neuer Technik. Das Gemälde findet aber nicht auf der Bühne statt, sondern die gesamte Mehrzweckhalle ist die Leinwand. Die Zuschauer „malen“ mit.

Unsere Bühnenshow muss immer besonders sein. Anders als bei anderen. Denn wir sind Stümper. Wir können nichts. Aber der Schwindel ist bisher noch nicht aufgeflogen. Wir können keinen Spagat. Wir können nicht tanzen. Wir sehen nicht gut aus. Also müssen wir uns anders behelfen. Wir sind Take That für Arme.

Aber eure Texte sind besser als die von Take That. Die geben einem zu denken. Im Song „Wer sagt denn das?“ zum Beispiel geht es um vermeintliche Regeln und gefühlte Wahrheiten. 

 Porky: Ja, der Alltag gibt uns reichlich Futter für die Texte.

La Perla: „Wer sagt denn das“ ist eigentlich der stärkste Song auf dem Album. Deshalb haben wir es auch so genannt. „Wer sagt denn das“ ist eigentlich eine Kinderaussage oder zumindest eine kindliche. Alles hinterfragen ist gut. Aber wir haben uns als Gesellschaft viel erkämpft und erarbeitet. Uns ärgert, dass heute Fragen gestellt werden, die schon längst geklärt sind. Mich sorgt, dass viel Leute auch durch Argumente nicht mehr zugänglich sind. Ich glaube, wir müssen Ängste ernst nehmen und tatsächlich auch möglichst jeden mitnehmen.


Foto: Auge Altona

Foto: Auge Altona


Das liegt wohl auch an den radikalen Veränderungen unserer Zeit.

 Porky: Aber die muss es geben. Im Umweltbereich zum Beispiel. Dafür wird man in Kauf nehmen müssen, dass einige Leute auch zurückstecken müssen. Kohlearbeiter zum Beispiel. Oder alle, die es gewohnt sind, vier Mal im Jahr nach Mallorca zu fliegen.

Kryptik Joe: Die fortschreitende Digitalisierung macht mir Sorgen. Man individualisiert sich immer mehr. Deshalb ist Zuhören und Verstehen wichtig.Ich war neulich auf so einem Wochenmarkt unterwegs. Da war ein Stand mit einem Schild, wo riesengroß draufstand: „Negerküsse“. Ich bin da hin und habe den gefragt: „Warum machst du sowas?“ Er hat geantwortet: „Ja, das ist bewusst. Das ist meine Meinung und die vertrete ich auch so.“ Aber dass es beleidigend für meinen Freund sein könnte, hat er nicht eingesehen. Ich habe eine ganze Weile mit dem geredet. Aber erreicht habe ich ihn nicht, er hat mich nicht verstanden. Aber immerhin sind wir im Gespräch geblieben. Und das können oder wollen viele Leute heute gar nicht mehr, glaube ich manchmal.

La Perla: Aber solche Diskussionen werden wir führen müssen. Die Grenze des Sagbaren wird immer weiter verschoben, übrigens nicht erst seit Donald Trump und der AfD. Ich finde es bedrohlich, wenn sich Leute über wirklich Verwerfliches gar nicht mehr aufregen können. Hoffentlich kriegen wir als Gesellschaft nochmal den Bogen. Dabei wollen wir helfen.

Wenn man eure Texte hört, könnte man glauben, nichts und niemand ist vor euch sicher. Gibt es Tabus?

Kryptik Joe: Wir kommen aus einer Hip-Hop-Generation, die sehr kreativ, aber auch sehr brav war. Fettes Brot oder Beginner aus Hamburg – alle sehr brav. Die Fantastischen Vier aus Stuttgart – auch sehr brav. Aus Berlin kamen dann aber Rapper und Hip-Hopper, die mit sehr harten Texten auch provoziert haben. Die hatten Spaß daran, Tabus zu brechen. Fand ich gut.

Porky: Wir sind, glaube ich, dabei aber relativ fäkalfrei. Wir haben einen Song, der heißt „Travel Pussy“ und einen, der heißt „Komm rüber“. Aber wir machen sehr selten die „innere Toilette“ auf.

La Perla: Wir sind eine sehr freie Band, würden aber auch nicht alles machen. Pädophilie oder Sex mit Tieren sind Tabu!

Was würdet ihr denn machen, wenn ihr irgendwann nicht mehr auf der Bühne steht? 

Kryptik Joe: Ich könnte mir vorstellen, wieder zu studieren. Aber nicht mehr Jura und Chemie wie früher. Das hat nie was gebracht. Oder eine Lehre machen. Als Tischler zum Beispiel. Ich glaube gerade im Alter hätte ich für das Arbeiten und das Material viel mehr Sinn und könnte das viel mehr wertschätzen als mit 18 oder 19.

Porky: Ich würde Physiotherapeut lernen. Wissen, wo Schmerzen und Verspannungen sitzen, und vor allem auch den eigenen Körper viel besser zu kennen und einschätzen zu können, das wäre was.

La Perla: Ich habe nie studiert bisher. Aber ich habe kürzlich tatsächlich gedacht: wenn schon, dann Klavier studieren.

Porky: Du bist ja noch jung, das könntest du schaffen.

La Perla: Ja, rein zeitlich ginge das auch. Um sich auf die Aufnahmeprüfung vorzubereiten braucht man um die zwei Jahre, vielleicht etwas länger.

Porky: Ich habe zwei Jahre Musik studiert. Wenn ich wieder studieren sollte, dann bloß nie wieder Musik.