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Studium – abbrechen oder durchziehen?

Studium – abbrechen oder durchziehen?

Fehlender Praxisbezug, mangelnde Berufsperspektiven, zu hohe Anforderungen: Es gibt viele Gründe, die zu einem Studienabbruch führen können. Ob man seine Lehrjahre durch einen Wechsel des Studienfachs, der Hochschule oder gar in eine Berufsausbildung auf „Werkseinstellung zurücksetzt“, ist individuell und hängt von den eigenen Interessen und Zielen ab.

Vom Hörsaal ins Handwerk: Nach zwei Semestern Jura hat Christin Büßecker sich entschieden, ihr Studium aufzugeben, um eine Ausbildung zur Vergolderin zu absolvieren. Ein jahrhundertealtes Handwerk, das heute nur noch wenige Menschen beherrschen. Gerade einmal acht Azubis zählte Christins Ausbildungsjahrgang – in ganz Deutschland. Im Auftrag von Museen, Kunsthallen und Privatleuten fertigt die 27-Jährige, die seit einem Jahr auch ihren Meisterinnentitel trägt, Rahmen in den verschiedensten Größen und Formen. Die Oberflächen veredelt sie mit Blattmetallen wie Gold, Silber und Platin. Auch die Restaurierung und Reinigung alter Rahmen gehört zu ihren Aufgaben. „Ein Rahmen kann die Wirkung eines Kunstwerks unterstreichen oder vermindern – der Unterschied fällt auch einem Laien sofort ins Auge“, sagt Christin, die in einer Galerie in Ludwigshafen arbeitet. Fingerfertigkeit, Zeichentalent, Sinn für Ästhetik und Geduld sind wichtige Voraussetzungen für ihren Beruf. Manchmal arbeitet sie monatelang an einem einzelnen Rahmen.

Als Vergolderin erschafft Christin Büßecker herrlich glänzende Rahmen. Dafür hat sie ihr Jurastudium an den Nagel gehängt.

Wie zur Hölle soll ich das schaffen?

Vor Studienbeginn hatte Christin zwischen einem kreativen Beruf und der Rechtswissenschaft geschwankt. „Das Schulfach, in dem ich immer herausragend war, ohne etwas dafür tun zu müssen, war Kunst. Vielleicht habe ich auch deshalb gedacht, ich muss beruflich in eine andere Richtung gehen, wenn ich noch etwas dazulernen will.“ Die Entscheidung für Jura erschien ihr vernünftiger. „Mein Plan war, nach dem Jurastudium genug Geld zu verdienen, um meine eigene Galerie zu eröffnen.“ Diesem Traum ist Christin heute näher denn je. Aber der Weg dorthin war ein anderer, als sie es sich nach dem Abi vorgestellt hatte. Bei ihrer Entscheidung für einen Studienabbruch spielten auch Versagensängste eine Rolle. „Um das Studium zu finanzieren, habe ich nebenbei gejobbt. Die Zeit hätte ich aber eigentlich zum Lernen gebraucht. Ich habe mich gefragt, wie zur Hölle ich das Studium mit Nebenjob in neun Semestern schaffen soll. Das hat mir Angst gemacht.“ Im zweiten Anlauf hörte sie auf ihr Herz und erkundigte sich, welche Berufe in einer Galerie gefragt sind. Als ihr von ihrem heutigen Arbeitgeber erst ein Praktikum und im Anschluss eine Ausbildungsstelle angeboten wurde, sagte sie sofort zu.

Hohe Anforderungen, mangelnde Motivation, zu wenig Praxis

Bei Martin Scholz suchen Studienzweifler Rat. Er ist Leiter der Studienberatung der Leibnitz Universität Hannover.

29 Prozent aller Bachelorstudierenden brechen laut Berechnungen des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) ihr Studium ab. Besonders hoch ist die Quote in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern. Die Gründe, aus denen Studierende einen Fachwechsel oder einen Abbruch in Erwägung ziehen, sind vielfältig: „Häufig sind es die hohen Anforderungen, mangelnde Motivation oder der fehlende Praxisbezug. Aber auch persönliche Gründe wie Heimweh spielen oft eine Rolle“, sagt Martin Scholz, Leiter der Studienberatung der Leibniz Universität Hannover und Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen. „Ein großes Thema ist außerdem die Finanzierung des studentischen Lebens, das vor allem in den Großstädten immer teurer wird. Insbesondere für diejenigen, die weder BAföG bekommen noch von ihren Eltern unterstützt werden.“


Selbst das Traumstudium ist nie perfekt

Nicht jeder entscheidet sich wie Christin schon in den ersten Semestern für einen Abbruch. Je mehr Semester man bereits angesammelt hat, umso schwerer fällt häufig die Entscheidung. Wann ist es sinnvoll, sich durchzubeißen, und wann sollte man die Reißleine ziehen? „Dass die hohen Anforderungen an der Uni einem zusetzen, ist ein Stück weit normal. Manche kommen damit besser zurecht, andere müssen sich sehr anstrengen“, sagt Scholz. „Wenn aber körperliche oder psychische Symptome wie häufige Kopf- oder Magenschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten oder eine ausgeprägte Prüfungsangst die Folge sind, sollte man aufhorchen.“ Wichtig ist es dann, sich zu fragen, womit konkret man sich nicht wohlfühlt: Ist es das Fach, die Uni oder vielleicht das Studium generell? „Oft wurde die Entscheidung danach getroffen, was Freunde studieren, in welcher Stadt man gerne leben oder wie viel man später verdienen will“, sagt Scholz. Das alleine reicht in der Regel nicht als Motivation. Vor allem dann nicht, wenn das Studium anzieht. Bei einem Neuanfang gilt es deshalb herauszufinden, was einen wirklich antreibt. „Dabei ist allerdings auch wichtig zu realisieren, dass selbst im Traumstudium nicht jede einzelne Vorlesung interessant sein muss.“ Sich einzugestehen, dass man den falschen Weg gewählt hat, fällt nicht leicht. „Der erste Schritt zu einem Neuanfang ist aber, das eigene Scheitern zu akzeptieren.“

Was soll ich damit beruflich mal anstellen?

Tim Berge wusste nicht so recht, was er mit seinem Studium in Physikalischer Technik beruflich mal anfangen soll. Heute macht er eine Ausbildung zum Feinwerkmechaniker und ist froh über die viele Praxis.

Bevor sich Tim Berge nach dem dritten Semester entschied, sein Studium in Physikalischer Technik abzubrechen, hat er lange mit sich gehadert. „Die Studieninhalte haben mir gut gefallen, aber mit der Zeit habe ich mir immer öfter die Frage gestellt, wo ich damit eigentlich hinwill“, sagt der 28-Jährige. Darauf eine Antwort zu finden, fiel ihm schwer. „Das hat mich ins Straucheln gebracht. Ich hatte mich in dem Glauben eingeschrieben, im Verlauf des Studiums würde sich mir schon eine Berufsperspektive eröffnen. Aber mit der Zeit bekam ich Zweifel. Man sammelt im Studium sehr viel Wissen an, aber mir fehlte eine Vorstellung davon, wo ich es konkret anwenden könnte.“ Dann fiel er nach dem zweiten Semester in zwei Prüfungen durch. „Ein zweiter Anlauf wäre möglich gewesen, hätte das Studium aber verlängert. In dem Moment habe ich mich gefragt, ob ich weiter von BAföG leben will, das ich irgendwann zurückzahlen muss, oder ob ich lieber mein eigenes Geld verdienen möchte.“ Als ihn dann noch gesundheitliche Probleme dazu zwangen, ein Urlaubssemester einzulegen, beschloss Tim, sich umzuorientieren.

Fräsmaschine statt Seminarraum

Heute macht der ehemalige Student eine Ausbildung zum Feinwerkmechaniker bei einem Metallbauunternehmen im Münsterland. Werkstofftechnik, Mathe- und Physik-Grundlagen, Programmierung: Vieles von dem, was er im Studium gelernt hat, hilft ihm nun auch in Berufsschule und Betrieb. Aber statt im Seminarraum zu sitzen oder zuhause Bücher zu wälzen, ist sein Arbeitsplatz nun an einer CNC-Fräsmaschine, wo er Rohlinge in den Maschinenschraubstock einspannt und für die Maßgenauigkeit der Bauteile verantwortlich ist. Rückblickend war der Studienabbruch für Tim keine Katastrophe. Im Gegenteil. „Ich habe gelernt, dass es das Wichtigste ist, nicht stehen zu bleiben. Jede Erfahrung dient dazu, weiter voranzukommen, auch wenn man dabei die Richtung wechselt.“ Die ersten Tage seiner Ausbildung waren für den angehenden Feinwerkmechaniker anstrengend. „Es war eine komplette Umstellung. Durch die körperliche Arbeit war ich in den ersten Wochen jeden Abend total platt.“ Zu Studienzeiten hätte sich der Azubi nicht vorstellen können, jeden Morgen um 7 Uhr mit der Arbeit zu beginnen. „Wenn nötig, fange ich mittlerweile gerne auch um 6 Uhr an und komme somit früher in den Feierabend. Das Lernen entfällt größtenteils auf den Berufsschulunterricht, was ebenfalls sehr angenehm ist. Feierabend heißt jetzt wirklich Feierabend.“

Zweiter Anlauf ist wohlüberlegter

Häufig wird die Entscheidung für einen Studienwechsel oder Abbruch durch das eigene Umfeld erschwert. Nur wenige ihrer Freunde konnten verstehen, warum sich Christin gegen ihr Studium entschied. „Auf Partys wurde ich oft gefragt: Was studierst du? Wenn ich dann erzählt habe, dass ich eine Ausbildung mache, war das Gespräch meist beendet.“ Es dauerte eine Weile, bis ihr Umfeld erkannte, dass sie für sich die richtige Entscheidung getroffen hat, die sie glücklich macht. Was denken meine Freunde und Kommilitonen über mich, wenn ich aufgebe? Finanzieren meine Eltern auch ein zweites Studium? Hört Scholz solche Bedenken, versucht er, Druck aus der Situation rauszunehmen: „Meist setzen sich die Studierenden sehr intensiv mit ihren Zweifeln auseinander und kommen dann selbst auf mögliche Lösungen. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass sie damit ihr Bestmögliches tun.“ Auch deshalb sei die Angst vor einem erneuten Scheitern meist unbegründet: „Ein zweiter Versuch, ob in Form eines Fachwechsels oder einer Ausbildung, ist in der Regel sehr wohlüberlegt. Außerdem wissen die meisten dann, welche Herausforderungen beim Start auf sie zukommen können und sind in der Lage, besser damit umzugehen.“

Doch nochmal studieren? Nicht ausgeschlossen

Möglichkeiten, sich vor der Wahl eines neuen Studienfachs intensiv zu informieren , gibt es viele: Zum Beispiel bei den Fachstudienberatungen, indem man sich vorab Vorlesungen anhört, an Schnuppertagen teilnimmt oder online Informationen einholt. In manchen Fällen kann auch der Wechsel von der Uni an die Fachhochschule oder umgekehrt sinnvoll sein: „Wem an der Uni die Verbindlichkeit fehlt, der ist an einer Fachhochschule mit strukturiertem Lehrplan besser aufgehoben“, sagt Scholz. Der Wechsel der Hochschulform muss nicht zwingend einen Fachwechsel bedeuten, oftmals werden gleiche oder ähnliche Fächer angeboten. Wem der Praxisbezug fehlt, für den kann auch ein duales Studium eine Alternative darstellen: „Hierbei sollte ich mir aber klarmachen, dass ich in der gleichen Zeit oft zwei oder sogar drei Abschlüsse erwerbe. Das kann einen schnell voranbringen, ist aber auch anstrengend und sollte deshalb nicht das einzige Argument für ein duales Studium sein.“

Für Christin steht fest, dass sie auch als Vergoldermeisterin noch nicht ausgelernt hat. Gerade hat sie im Rahmen eines Freiwilligendienstes ein halbes Jahr für die UNESCO-Nationalkommission in Nairobi gearbeitet. Das Thema Studium ist für sie ebenfalls noch nicht abgeschlossen. „Vielleicht geht es dabei auch darum, mir selbst zu beweisen, dass ich es kann. Fest steht aber auch: Nie mehr ohne das Handwerk. Diese Arbeit ist so erfüllend. Egal, was ich in Zukunft noch alles machen werde: Was ich in diesem Beruf gelernt habe, kann mir keiner mehr nehmen.“

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