Studierende & ihre Blogs: Wenn die Seele anders tickt
Studierende & ihre Blogs: Wenn die Seele anders tickt
Rund 470000 Studierende in Deutschland leiden unter mindestens einer psychischen Erkrankung. Für sie sind Leistungsdruck oder schon ein Mittagessen in der überfüllten Mensa große Herausforderungen. Gründe, nicht zu studieren, müssen Depressionen oder Autismus allerdings nicht sein. Das zeigen die beiden Bloggerinnen Nici und Julia.
Was ist schon neurotypisch
Nici studiert Informatik an einer kleinen Fachhochschule in Dänemark. Wenn ihr der Trubel um sie herum zu viel wird, setzt die Studentin ihre Noise Cancelling-Kopfhörer auf und schon herrscht Ruhe. Gibt es Missverständnisse zwischen ihr und einem Lehrer, vermittelt ein Mentor. „Er übersetzt dann von autistisch auf neurotypisch und wieder zurück“, erklärt sie. Als neurotypisch wird jeder bezeichnet, der nach allgemeiner Vorstellung „normal“ tickt.
Was mit ihr los ist, warum ihr manche Dinge so schwerfallen, wusste Nici lange Zeit nicht. Schon während ihrer Schulzeit in München hat sie Probleme, sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtzufinden. Das Abitur schafft sie dennoch. Anschließend geht die heute 24-Jährige nach Dänemark, um herauszufinden, was sie beruflich machen will. „Ich hatte davon gelesen, dass es in den skandinavischen Ländern Højskoler gibt, eine Mischung aus Volkshochschule und Internat.“ Aus einem halben Jahr wird ein ganzes und schließlich beginnt Nici dort sogar ein Studium in „Entrepreneurship and Design Management“. Trotz Depressionen, an denen sie kurz zuvor erkrankt. Die Lehrinhalte machen ihr nicht zu schaffen. „Das große Problem war nur das soziale Drumherum“, erinnert sie sich. Nici weiß einfach nicht, worüber sie sich mich mit den anderen Studenten unterhalten soll. Schnell beginnt die Grüppchenbildung, Freundschaften werden geschlossen. Nur Nici sitzt in den Pausen allein rum. Stehen Raumwechsel an, bewaffnet sie sich mit einem Übersichtsplan von dem Schulgebäude, denn Nici braucht Struktur und ein Gefühl der Sicherheit.
Nach einem Studientag ist sie oft völlig fertig, denn das Planen, Nachdenken und die Reizüberflutung fressen viel Energie. Im dritten Semester zieht Nici die Reißleine, nachdem sie Selbstmordgedanken plagen. Sie lässt sich für den Rest des Semesters krankschreiben, bricht ihr Studium schließlich ab. Im Frühjahr 2017 bekommt sie endlich die Diagnose: Asperger-Syndrom, eine besondere Variante des Autismus. Endlich hat ihre Sicht auf die Welt eine Ursache.
Auf ihrem Blog unbemerkt.eu schreibt Nici über ihr Leben als Autistin, die alltäglichen Hürden und darüber, was sie sich von ihren Mitmenschen wünscht. Das richtige Studium für sich hat sie mittlerweile gefunden: Informatik an einer kleinen dänischen Fachhochschule. Die Liebe zu Struktur und festen Regeln – beim Coden wird ihre vermeintliche Schwäche zu einer Stärke.
Julias Lebenswelt
Locker mit Kommilitonen in Kontakt zu treten, zu essen, ohne sich Gedanken darüber zu machen – das fällt Julia unheimlich schwer. Seit Jahren kämpft die Psychologiestudentin mit ihrem Selbstbild. Depressionen und eine soziale Phobie schüren immer wieder Ängste in ihr. Wie bewerten mich andere? Wie sehen mich die Menschen? Fragen, die wir uns alle hin und wieder stellen. Bei der 22-Jährigen jedoch bestimmen sie den Alltag. Früher fuhr Julia nicht mit zu Klassenfahrten, aus Angst, ihren Körper im Badeanzug zeigen zu müssen. Das Weihnachtsfest – in anderen Familien eine wahre Fressorgie – verbrachte sie auch schon einmal mit Abi-Vorbereitungen. Jahrelang hat sie die Magersucht fest im Griff. Heute zeigt sie sich im Gewand der Binge Eating Disorder, dem unkontrollierten, periodischen Esszwang.
Und trotzdem: Julia packt ihr Leben an, stellt sich den Tücken des Alltag, ist für ihr Masterstudium sogar gerade von München nach Chemnitz gezogen. Eine große Hilfe dabei und ein Stück weit Therapie: der Austausch über die sozialen Medien, ihr YouTube-Kanal – und ihr Blog lebenswelt.blog. Dort schreibt sie über psychische Gesundheit und Erkrankungen und erzählt von den Hürden, die ihr im Leben begegnen. „Meine Erfahrungen online zu teilen, gibt meinem Leben einen Sinn und hat es stark verändert“, sagt Julia. Manchmal bekomme sie Kommentare, die ihr tagelang ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sich in der Offline-Welt zu öffnen, sei hingegen schwierig. Oft, auch an der Uni, versucht Julia, ihre psychischen Probleme zu verstecken. Denn Verständnis oder ein empathisches Nachfragen sind in der Regel Mangelware. Ihr Wunsch: „Gern würde ich meine Schwierigkeiten offen ansprechen, ohne anschließende Sonderbehandlung oder als ‚verrückt‘ abgestempelt zu werden.“
Damit das Studium nicht zur Qual wird
Wir sind alle nur Menschen. Wenn die Seele „schmerzt“, ist das keine Schwäche und auch kein Makel. Wichtig ist nur: Hol dir Hilfe! Egal, ob Depressionen oder das Gefühl, der Unistress wächst dir über den Kopf. Unterstützung bieten zum Beispiel die psychologischen Beratungsstellen, die es an nahezu jeder Uni und FH gibt.
Die Corona-Pandemie hat viele Studierende zu neuen Lösungen inspiriert. Sie versuchen, dem Virus und seinen gesellschaftlichen Folgen mit kreativen Projekten zu begegnen. Diese Ideen haben besondere Ansteckungsgefahr.