Klimaschutz meets Karriere

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Die grünen Rebellen

Junge Menschen wie die Studentin Anke Neumeier kämpfen für das Klima.

Foto: TinoGrafiert

Klimaschutz meets Karriere  

Ob Windkraftanlagen warten, Feinstaub bekämpfen, Demos organisieren oder eine Expedition zu den schrumpfenden Eisbergen unternehmen: Wir stellen vier junge Menschen vor, die sich mit ihrem technischen und naturwissenschaftlichen Know-how für eine nachhaltigere Welt einsetzen.

Demonstrieren und studieren gegen die Hilflosigkeit

„Der Klimawandel beschäftigt mich schon seit meinem Abitur“, sagt Anke Neumeier. Früher habe ihr die Thematik vor allem Angst eingeflößt, die Erkenntnisse der Wissenschaft lähmten sie, sie fühlte sich einsam und hilflos. „Ich dachte mir: Ich werde in einer Welt leben, in der ich eigentlich keine Kinder bekommen will.“ Die Resignation verschwand erst, als 2019 auch in Deutschland die ersten Schüler im Rahmen von „Fridays for Future“ auf die Straße gingen. „Zum ersten Mal habe ich gemerkt, wie viele Menschen es gibt, die sich mit dem Thema beschäftigen.“

Anke Neumeier setzt sich nicht nur im Studium fürs Klima ein. (c) TinoGrafiert

Anke Neumeier setzt sich nicht nur im Studium fürs Klima ein. (c) TinoGrafiert

Anke Neumeier entschied sich, eine eigene Hochschulgruppe für ihren Campus der TU München in Freising aufzubauen: Students for Future Freising. „Im Moment sind wir noch dabei, uns zu finden, zu organisieren und zu mobilisieren.“ Doch es sei schon einiges passiert. In der Vergangenheit organisierte sie zum Beispiel mit anderen Engagierten die Public Climate School: Eine Woche lang drehten sich Vorlesungen und Seminare auf ihrem Campus um Klimagerechtigkeit und Klimakrise.

Bei solchen Veranstaltungen sei auch die Hilfe der Professoren gefragt. „Sehr viele Dozenten unterstützen uns supergut“, erzählt die Master-Studentin, „andere aber äußern sich skeptisch oder spielen die Klimakrise sogar runter.“ Durch die öffentliche Diskussion möchte sie dafür sorgen, dass Universitäten wieder demokratischer und politischer werden. „Studierende müssen sich wieder mehr für ihre eigenen Belange einsetzen.“

Ihr Engagement für den Klimaschutz leistet Anke Neumeier neben dem regulären Unialltag. Sie studiert Sustainable Resource Management, ein interdisziplinärer Studiengang, der sich dem nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser und Luft widmet. „Ich habe mich auf nachhaltige Landwirtschaft, Bodenschutz und internationale Politik fokussiert.“ Derzeit feilt sie an ihrer Abschlussarbeit. Das Thema: Kohlenstoffspeicherung in landwirtschaftlichen Böden. Danach Nach ihrem Abschluss möchte sie in die Lobbyarbeit gehen, um Umweltfragen und soziale Themen voranzutreiben. „Auch wenn es sich groß anhört: Ich möchte dafür sorgen, dass wir alle irgendwann in einer gerechteren und nachhaltigeren Welt leben können.“

Anke Neumeier (28) studiert Sustainable Resource Management an der TU München und engagiert sich bei Students for Future.


Mit der Kraft des Windes

Früher arbeitete Lena Schulhof in der Automobilbranche. „Wenn Kollegen sich in der Mittagspause begeistert über Autos unterhielten, habe ich mich meist ausgeklinkt“, erinnert sie sich. Ihr privates Interesse war ein anderes: erneuerbare Energien. Nach ihrem dualen Bachelor-Studium in Maschinenbau entschied sie sich für einen Branchenwechsel – und schrieb sich für ein Masterstudium im Fach Energiewirtschafts-Ingenieurswesen an der Hochschule Niederrhein in Krefeld ein.

Schon während des Masterstudiums arbeitete Lena Schulhof als Aushilfskraft in einem Unternehmen für erneuerbare Energien. Nach dem Studienabschluss stieg sie direkt als Mitarbeiterin in der technischen Betriebsführung für Windkraftanlagen bei der Naturstrom AG ein, einem Anbieter erneuerbarer Energien für den Privat- und Gewerbebereich. Heute kümmert sie sich dort um das Controlling bestehender Windkraftanlagen.

Lena Schulhofs Arbeitsplatz liegt manchmal in luftiger Höhe.

Lena Schulhofs Arbeitsplatz liegt manchmal in luftiger Höhe.

„Zu meinem Job gehört sowohl Büroarbeit, als auch Einsätze draußen bei den Anlagen“, erzählt die 28-Jährige. Sind Windräder erstmal in Betrieb, erhalten sie meist eine Genehmigung für 20 Jahre. In dieser Zeit kümmert sich normalerweise der Betreiber um Service und Wartung. Ein- oder zweimal im Jahr besteigen aber auch Lena Schulhof und ihre Kollegen die Anlagen. Lena Schulhof muss technische Checks durchführen und die Ergebnisse dokumentieren. Außerdem begleitet sie externe Gutachter und kümmert sich um monatliche Auswertungen der Leistungen der Anlagen.

Naturstrom versorgt derzeit 220.000 Privatkunden und über 20.000 Geschäftskunden mit nachhaltigem Strom. Seit seiner Gründung im Jahr 1998 hat das Unternehmen bereits 97 Windkraft-Anlagen in ganz Deutschland realisiert, daneben auch Photovoltaik-, Biogas- und Wasserkraftanlagen. „Mich begeistert mein Job“, sagt Lena Schulhof. „Hier kann ich jeden Tag etwas dafür tun, dass sich die Welt in die richtige Richtung bewegt.“

Lena Schulhof (28) ist Mitarbeiterin der technischen Betriebsführung für Windkraftanlagen bei der Naturstrom.



Geheimnisse aus dem Eis

Etwa sechs Wochen im Jahr verbringt Nicolas Stoll im Nordosten Grönlands. Seine Mission: das Erforschen des Eises. Als Doktorand im Bereich Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut ist Nicolas Stoll Teil des internationalen „East Greenland Ice Core Project“. Die Wissenschaftler erhoffen sich durch das mehrjährige Bohrprojekt, den Eisstrom im Kontext des Klimawandels besser verstehen zu können – und zu erfahren, wie die Eismassen zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.

In einem Bohrcamp in Grönland erforscht Nicolas Stoll Veränderungen im Eis.

In einem Bohrcamp in Grönland erforscht Nicolas Stoll Veränderungen im Eis.

Ein bis zu 40-köpfiges Team – Forscher, Mechaniker, Ingenieure, Köche und Ärzte – arbeitet von April bis August in dem Camp. Die Temperaturen an dem abgelegenen Ort sind unwirtlich, sie liegen meist zwischen minus 30 Grad Celsius und dem Gefrierpunkt. Ingenieure bohren den Eiskern, jedes Jahr kommen sie einige hundert Meter tiefer. Insgesamt ist das Eisschild etwa 2.650 Meter dick. Der Kern wird in verschieden große Teile geschnitten, um daran Messungen vorzunehmen. Nicolas Stoll untersucht die Eiskristalle auf auffällige Parameter, die Hinweise auf die Deformation und Bewegung des Eises geben. „Die Arbeit im Eis hat einen großen Reiz“, sagt der 27-Jährige. „Gletscher und Eisberge sind greifbar, man sieht schnell Veränderungen.“

Bei der letzten Bohrung sei man bis auf 2150 Meter Tiefe gekommen, erzählt Nicolas Stoll, nun fehlen nur noch die letzten 500 Meter bis zum Grundgestein. So tief zu bohren, sei wahnsinnig schwierig – aber auch besonders interessant. Niemand kann voraussagen, wie sich das Eis in der Tiefe verhält. Fließt es in Bodennähe besonders schnell? Gleitet es aufgrund höherer Temperaturen auf einem dünnen Wasserfilm? Das grönländische Eis ist ganz unten mancherorts über 120.000 Jahre alt. Darin wurden Luftblasen eingeschlossen, die Rückschlüsse auf das Klima in früheren Zeiten erlauben. „Wir sehen Dinge, die es bisher in keinem anderen Eiskern gab“, sagt Nicolas Stoll.

Ist er nicht im Eis unterwegs, verbringt Nicolas Stoll seine Arbeitszeit hauptsächlich vor dem Rechner in seinem Büro in Bremerhaven. Er wertet die erhobenen Daten aus, fasst sie zusammen, liest Literatur zu seinem Thema und publiziert in Fachzeitschriften. Doch auch im Alfred-Wegener-Institut ist das Eis für ihn greifbar: In Europas größtem Eislabor, das auf minus 20 Grad Celsius gekühlt werden kann, kann der Wissenschaftler weitere Experimente und Messungen vornehmen.

Daneben setzt sich Nicolas Stoll dafür ein, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Rahmen von „Scientists for Future“ besucht er Schulen und nimmt an öffentlichen Klimadiskussionen teil. „Ich versuche, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen die Fakten aufzuzeigen. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er damit macht.“

Nicolas Stoll (27) ist Doktorand im Bereich Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.


Ohne Moos nix los

In Peter Sängers Studium – Produktionsmanagement im Gartenbau – spielte Nachhaltigkeit nur eine geringe Rolle. „Der Gartenbau an sich ist ultra-traditionell: viel Verpackungsmüll, lange Transportwege für exotische
Pflanzen, bis heute wird mit Gas, Öl und Kohle geheizt“, erzählt der 28-Jährige. Doch eines Tages besuchten seine zukünftigen Mitgründer seine Fakultät. Sie wollten mit studentischer Hilfe testen, ob man mit Pflanzen einen QR-Code lesbar machen kann. Schnell habe es zwischen ihm und den anderen „gefunkt“, der Kontakt blieb auch über die kurze Zusammenarbeit hinaus bestehen. Noch während des Studiums bastelten der Gartenbau-Experte, der Städtebauer, der Maschinenbauer und der Informatiker an einem Businessplan. Das Ziel: ein Stadtmöbel zu entwerfen, das die Luft säubert.

Peter Sänger sorgt für sauberere Luft in den Städten.

Peter Sänger sorgt für sauberere Luft in den Städten.

Green City Solutions tauften die Gründer ihr Startup. Ihr Hauptprodukt: der CityTree, eine freistehende Mooswand, die Schadstoffe, insbesondere Feinstaub, aus der Luft filtert und kühlt. „Die Moose sind in der Lage, den Feinstaub größtenteils zu verstoffwechseln“, erklärt Peter Sänger. Somit würden die Bio-Filter keine Abfälle erzeugen, anders als konventionelle Filteranlagen. Eine integrierte IoT-Technologie liefert in Echtzeit Leistungs- und Zustandsinformationen sowie Umweltdaten. Außerdem würden die Moose Feuchtigkeit abgeben, was im Sommer einen kühlenden Effekt erzeuge.

CityTrees wurden bislang schon in über 50 Städten weltweit installiert, unter anderem in Hamburg, Oslo, Amsterdam, Paris oder Bern. Der Bio-Filter kann fast überall aufgestellt werden – und reinigt die Luft messbar je nach Standort in einem Umkreis von bis zu 20 Metern. „Wir konzentrieren uns auf Orte, an denen sich Menschen zwangsläufig aufhalten müssen, etwa Bushäuschen, Krankenhäuser oder Schulen“, erklärt Peter Sänger. In Zukunft wolle man sich nun vermehrt den Indoor-Bereich vornehmen. „Drinnen sind die Luftverhältnisse meist noch viel schlechter als draußen.“

Peter Sängers Ratschlag an andere grüne Gründer: „Leider hat Nachhaltigkeit bis heute wenig monetären Wert, das muss Gründern bewusst sein.“ Neben der genialen grünen Idee müssten daher auch Profitabilität und Akzeptanz des Produkts im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Finde man kein funktionierendes Geschäftsmodell, könne man alternativ auch eine gemeinnützige Organisation gründen. Und: „Nachhaltigkeit nicht nur proklamieren, sondern auch selbst leben.“

Peter Sänger (28) ist Mitgründer des Startups Green City Solutions.