Technik ist weiblich
So steht es sogar im Duden. Auf dem Arbeitsmarkt spiegelt sich das jedoch viel zu wenig wider: Noch immer ist der Frauen-Anteil in MINT-Berufen recht niedrig. Das liegt auch daran, weil es an Role Models fehlt. Wir stellen drei Frauen vor, die genau solche Vorbilder sind. Denn sie interessieren sich brennend für Bereiche wie Physik und Informatik und pfeifen auf die veraltete Vorstellung von „typisch männlich, typisch weiblich“.
Frauen sind in technischen Berufen nach wie vor unterrepräsentiert. Und das nicht nur in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie der Beratungsfirma McKinsey sind nur 22 Prozent aller europäischen Tech-Jobs mit Frauen besetzt. Dabei, so die Untersuchung, könnte die wirtschaftliche Entwicklung in Europa mit einem höheren Frauenanteil in der Technologiebranche spürbar angekurbelt werden. Bei einer Befragung der Internationalen Hochschule (IU) in Erfurt zeigten sich rund 70 Prozent der Schülerinnen sogar grundsätzlich interessiert an MINT-Themen – also Themen aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Viele von ihnen haben aber Bedenken, wenn es um ein Studium in diesen Bereichen geht. Das schlägt sich auch bei den Erstsemestern nieder: Unter denen, die sich an deutschen Hochschulen mit den Grundlagen von technischer Mechanik oder theoretischer Informatik beschäftigen, sind aktuell nur 34 Prozent Frauen.
Kompetenz schlägt Vorurteile
Allein unter Männern? Josephine Neumann kennt es aus ihrem Berufsalltag nicht anders. „Daran bin ich durch mein Studium schon gewöhnt“, sagt die Physikingenieurin. Die 26-Jährige ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Göttingen angestellt und promoviert dort zum Thema Plasma und dessen Einsatzmöglichkeiten im Gesundheitsbereich. „Ich persönlich finde es nicht hinderlich, da die Kollegen besonders an der Hochschule sehr wertschätzend mit mir und meinen Ideen umgehen“, so Neumann. In der Industrie habe sie das jedoch schon anders erlebt. „Dort wurde meine Kompetenz von manchen Leuten häufiger angezweifelt als die meiner männlichen Kollegen. Einschüchtern lassen sollte man dadurch aber nicht. Meistens lassen die kritischen Fragen nach, wenn man ein paar Mal bewiesen hat, dass man fachlich kompetent ist. Das war für mich dann immer ein kleiner Triumpf.“
Die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringt die Physikingenieurin im Labor, wo sie unter anderem untersucht, wie sich Plasma auf verschiedenen Oberflächen verhält. Diese Erkenntnisse sollen später für Kamera- oder Mikroskopobjektive genutzt werden, die in der Medizintechnik zum Einsatz kommen. „Ich habe mich schon im Studium für den Bereich Photonik und speziell Plasma begeistert und diese Faszination hat mich bis heute nicht losgelassen.“ Bei Plasma handelt es sich um ein Teilchengemisch aus Ionen, freien Elektronen, Gasmolekülen und angeregten Gasmolekülen. Es wird auch „der vierte Aggregatszustand der Materie“ genannt. Auf der Erde kommen verschiedene Arten von natürlichem Plasma vor. Aber es gibt auch die Möglichkeit, Plasma im Labor herzustellen.
Grundschullehrerin förderte Interesse
Aufgrund seiner speziellen Eigenschaften kann es in den unterschiedlichsten Bereichen genutzt werden. Etwa in der Medizin, um Wunden zu behandeln, oder in der Industrie, um Oberflächen zu modifizieren und zum Beispiel Holzoberflächen wasserabweisend zu machen. Neumann hat sich bereits in ihrer Bachelor- und Masterarbeit mit dem Thema beschäftigt. „Die Anwendungsmöglichkeiten sind wahnsinnig vielfältig und hier gibt es noch ganz viel Neues zu entdecken.“
Studien wie die der IU zeigen immer wieder, wie wichtig es ist, bereits möglichst früh in der Schule anzusetzen, um Mädchen und junge Frauen für MINT-Berufe zu interessieren. „Ich wurde von meinen Eltern und einer ganz tollen Mathe- und Sachkundelehrerin in der Grundschule sehr in meinen Interessen bestärkt und auch gefördert“, berichtet Neumann. „Genau das will auch ich weiterzugeben und bin deshalb im Frauennetzwerk unserer Fakultät aktiv.“
Glücklicherweise sieht sie sich im Arbeitsalltag selten mit Vorurteilen konfrontiert. „Manchmal ist es anfangs schwierig, in eine Abteilung oder Arbeitsgruppe hineinzufinden, die rein männlich ist. Was den Austausch oder gemeinsame Freizeitaktivitäten angeht, läuft es in rein männlichen Gruppen doch ein bisschen anders.“ Wer sich mit dem Thema auseinandersetzen möchte, dem empfiehlt Neumann den Dokumentarfilm „Picture a Scientist – Frauen der Wissenschaft“, der für die Diskriminierung von Frauen in den Naturwissenschaften sensibilisieren will.
Per Quereinstieg in die IT-Beratung
Weil sie sich nach dem Abitur ein MINT-Studium nicht zutraute – trotz guter Noten in Mathematik und Physik – entschied sich Janine Mayer zunächst für ein duales BWL-Studium bei einem Sanitärfachgroßhändler. „In meinem Job als Prozessmanagerin bin ich anschließend jedoch immer wieder mit Digitalisierungsthemen und dem IT-Projektmanagement in Berührung gekommen“, berichtet die 25-Jährige. Als das Unternehmen ein ERP-System (ERP steht für Enterprise Ressource Planning) einführte, um Geschäftsprozesse zu digitalisieren, war Mayer maßgeblich an der Implementierung beteiligt – und fasziniert von den Möglichkeiten, die sich dem Unternehmen durch die Software boten. Das Projekt gab den Anstoß und sie traute sich endlich, ihrem Interesse für Technik und IT nachzugehen. „Ich habe Programmieren gelernt, habe verschiedene Microsoft-Zertifizierungen gemacht und mich mit Quereinsteigerinnen aus der Branche ausgetauscht.“ Schließlich entschied sie sich für einen beruflichen Wechsel in die IT-Beratung und bewarb sich bei mehreren Tech-Firmen.
Mit Erfolg. Heute arbeitet Mayer bei Avanade, einem Unternehmen, das IT-Lösungen anbietet und zu Microsoft und Accenture gehört. Ein entscheidender Grund, warum sie gerade hier einen Arbeitsvertrag unterschrieben hat: die hohe Frauenquote, insbesondere in Führungspositionen. Parallel zu ihrem Job als IT-Beraterin absolviert Mayer zudem gerade ein Masterstudium in „Business Consulting & Digital Management“. Und sie möchte ein Vorbild sein und engagiert sich daher bei „Women in Tech“, einem Verein, der technikbegeisterte Frauen fördert, vernetzt und sichtbar macht.
Sich mehr beweisen müssen als Männer
Auch Sandra Ahlers, IT-Projektmanagerin beim Landmaschinenhersteller CLAAS, hat in ihrem Arbeitsumfeld überwiegend positive Erfahrungen gemacht. „In der IT ist der Anteil männlicher Kollegen immer noch sehr hoch. In meiner jetzigen Abteilung – und auch früher als Anwendungsentwicklerin bei einer Versicherung – habe ich jedoch immer das Gefühl, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden“, sagt die 41-Jährige. Außerhalb sei das nicht immer der Fall. „Ich habe schon erlebt, dass mich Kunden oder Dienstleister, wenn sie mich zum ersten Mal sehen, nicht der IT zuordnen – erst recht nicht, wenn einer meiner männlichen Kollegen dabei ist.“ Es sei vorgekommen, dass Männer ihr ungefragt Themen ihres Fachgebiets erklärt hätten, mit denen sie sich selbst allerdings hervorragend auskennt. „Manchmal habe ich durchaus das Gefühl, mich etwas mehr als ein männlicher Kollege anstrengen beziehungsweise beweisen zu müssen.“
Als sie sich nach einer Ausbildung zur Mediengestalterin und mehreren Jahren in diesem Beruf mit Ende 20 nochmal für ein Studium entschied, kam aus ihrem privaten Umfeld auch häufiger die Nachfrage, warum ihre Wahl ausgerechnet auf Wirtschaftsinformatik gefallen sei. Doch Ahlers interessierte der Studiengang. Zudem wäre das, was sie dabei lernen würde, absolut zukunftsträchtig.
Diversität macht erfolgreicher
Ihre Familie und enge Freunde habe die Entscheidung hingegen nicht erstaunt. „In der Schule war Mathe mein Lieblingsfach, ich war immer technikaffin und hatte viel Spaß daran, mich zu Hause mit unserem ersten Computer und seinen Funktionen zu beschäftigen.“ Im Studium lernte sie dann zum Beispiel, wie man programmiert. „Ich mag den kreativen Aspekt dabei, den viele nicht erwarten. Beim Programmieren gibt es immer mehrere Lösungsmöglichkeiten und man versucht, die beste zu finden.“
Wie ihre Arbeitstage aussehen, hängt vom jeweiligen Projekt ab, das sie bei CLAAS gerade betreut. „In meinem aktuellen geht es unter anderem um ein Update einer Software sowie Customizing – also das Anpassen an die Wünsche der Kunden – und das Hinzufügen neuer Schnittstellen.“ Als IT-Projektmanagerin arbeitet Ahlers mit verschiedenen Fachabteilungen zusammen, stimmt Konzeption und Planung mit den jeweiligen Verantwortlichen ab, überwacht die Zeitplanung, den Projektfortschritt und das IT-Budget. Ihr Jobumfeld bei CLAAS sei dabei durchaus divers, findet sie. Vor allem was die Herkunft und das Alter ihrer Kolleg:innen betrifft. In Sachen Männerüberschuss gebe es aber noch Luft nach oben. „Ich würde mir sehr wünschen, dass sich mehr Frauen für einen technischen Beruf entscheiden und ihr Anteil endlich steigt.“ Das täte übrigens auch den Unternehmen gut. Denn Studien belegen immer wieder: Gibt es in der Belegschaft eine hohe Gender-Diversität, laufen die Geschäfte im Vergleich zu homogenen Teams signifikant besser.