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Kolumne: Dating „Jane Austen Style“

Kolumne: Dating „Jane Austen Style“

Corona wirkt sich auf unseren Alltag, unsere Arbeitswelt – und unser Liebesleben aus. Ein Resümee nach 21 Monaten Pandemie, die uns in Sachen Kennenlernen aus dem 21. zurück ins 19. Jahrhundert befördert haben.

Ob 2020 oder 2021: Die neuen Roaring Twenties hatten einen nicht allzu rosigen Start. Statt eines Revivals der Goldenen Zwanziger leben wir eine Neuauflage einer Pandemie à la Spanische Grippe. Vor allem liebestechnisch fühlt sich so manche:r in Jane Austens vor über 200 Jahren erschienenen Bestseller „Emma“ hineinkatapultiert: Statt gemeinsamem Netflix & Chill spazieren wir stundenlang und armlang entfernt durch die Gegend. Statt uns Liebesworte ins Ohr zu säuseln, schreiben wir virtuelle Liebes- und Lustbriefe. Jegliche Form von Körperkontakt wird nach Monaten des Hungerns nach Nähe zur ultimativen Grenzerfahrung.

Plötzlich erhält meine liebste Szene der „Stolz und Vorurteil“-Verfilmung eine ganz neue Dimension der Intimität: Der Moment, in dem Mr. Darcy Elizabeth die Hand reicht, um ihr in die Kutsche zu helfen, und anschließend, im Weggehen, seine Hand verkrampft anspannt, als wäre allein diese kurze Berührung eine vollkommene Reizüberflutung für ihn gewesen. Und während für uns vor ein paar Jahren vielleicht noch der nassglitzernde nackte Körper der oder des Angebeteten unter der Dusche das Nonplusultra der Erotik darstellte, gibt es jetzt wenig Erregenderes als ein Gegenüber, das sich mit Hingabe die Hände wäscht und uns anschließend mit diesen Händen berührt.

Während man vor Corona vielleicht die Beine extra nicht rasiert hat, um nicht in Versuchung zu geraten, verfrüht mit jemandem zu schlafen (Nur um dann sowieso im Laufe des Abends festzustellen: Körperbehaarung, who cares?), übernahmen Corona und Lockdowns ganz charmant diese Aufgabe. Statt Sex gab es in den letzten Monaten für viele eine extragroße Portion Webcam-Sex und Sexting, was durchaus nicht nur Nachteile mit sich bringt: Kommunikation über und beim Sex zu normalisieren, ist eh keine schlechte Idee – und wem es schwerfällt, die eigenen Bedürfnisse laut auszusprechen, kann sich schreibend schon mal daran herantasten. Ein Kennenlernen während Corona kann also als verbales Vorspiel gesehen werden, das das letztliche Zusammentreffen um ein Vielfaches intensiviert. Plötzlich ist das Berühren der Hände ein elektrisierender Moment purer Intimität, plötzlich werden Worte zu Aphrodisiaka.

All jenen, die in Sachen Dating, Körperkontakt und Sex lieber noch auf Nummer sicher gehen wollen, empfehle ich übrigens Masturbation vor dem Spiegel. So lernt man sich nicht nur auf eine ganz neue Art selbst kennen, sondern hat auch für den Fall vorgesorgt, dass doch nochmal ein Lockdown kommen sollte und Kultureinrichtungen schließen: Immerhin ist man nach ein paar solcher befriedigender Momente mit sich selbst quasi Solokünstler:in in Performance Art. Wortwörtlich.

Zum Schluss noch eine tröstende Entwarnung: Die wirklichen Roaring Twenties begannen in den meisten Staaten Europas erst ab 1924. Wir können also noch einmal aufatmen, vor dem Spiegel masturbieren und uns dann auf das Zelebrieren einiger wilder, ausgelassener Jahre sowie auf eine neue Wertschätzung von Körpernähe freuen.