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Wie Frauen in MINT-Berufe in die Welt besser machen

Frauen & MINT - Weltverbesserer

Flüchtlingsrettung, verschmutzte Weltmeere, Wassernot in Entwicklungsländern, Terroranschläge und Cyberattacken: Wir stellen vier junge Frauen vor, die sich mit dem Wissen aus ihrem Studium den großen Problemen unserer Zeit annehmen.

Die Seenotretterin  

Lina Schulze, Offizierin auf der Sea-Watch 3

Wer Lina Schulze sprechen will, der erreicht sie an diesem Julitag in Sizilien, an Bord der Sea-Watch 3. „Unser Schiff sitzt fest“, erzählt die 27-Jährige, im Hintergrund braust der Lärm des Hafens. Der Grund: Gegen die Crew und Kapitänin Carola Rackete laufen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Beihilfe zur illegalen Immigration. Daher darf das Schiff den Hafen nicht verlassen.

Aber von vorne: Lina, ehemalige Nautik-Studentin aus Bremen, ist Offizierin an Bord der Sea-Watch 3. Gemeinsam mit ihrer Crew versucht sie, geflüchtete Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten. „Was ich hier tue, ist richtig“, sagt sie, „das muss getan werden. Wenn ich dafür ins Gefängnis gehen muss, dann würde ich das erhobenen Hauptes tun.“

Für den ehrenamtlichen Einsatz an Bord des Schiffes bewarb sich Lina auf offiziellem Wege: „Das Crewing von Sea-Watch ist super-professionell und die Bewerbungsphase sehr intensiv“, erinnert sie sich. Nach der Kontaktaufnahme per Mail wurde sie eine Stunde lang per Telefon interviewt, um ihre Einstellungen zu erfragen.

Die Crew an Bord der Sea-Watch 3 ist sehr international, sie besteht aus Franzosen, Engländern, Italienern, Deutschen – und auffallend vielen Frauen. Insgesamt 22 Personen arbeiten an Bord, darunter Mediziner, Nautiker, Journalisten, ein Culture Mediator und ein Guest Coordinator. Gäste – so nennt man hier an Bord die geretteten Menschen. Mit ihrem Profil kann Lina die nautische Crew perfekt unterstützen. Durch ihr Nautik-Studium weiß sie, wie die professionelle Schifffahrt funktioniert, wie man Logbücher führt und wie man richtig dokumentiert.

Doch der Einsatz an Bord fordert nicht nur ihr Handwerkszeug, sondern auch ihre Emotionen heraus. Bei einem Einsatz irrte die Crew mit 40 Geflüchteten zwei Wochen lang durch das Mittelmeer, weil kein Hafen die Genehmigung zum Anlegen erteilte. „Wenn die Menschen endlich das Schiff verlassen können, ist das extrem emotional und bewegend“, erzählt sie. „An Bord ist man miteinander durch dick und dünn gegangen, da sind Freundschaften entstanden.“

Für ihre berufliche Zukunft kann sich Lina die professionelle Seefahrt nicht mehr vorstellen – „wegen des Umweltaspekts“. Lieber möchte sie professionell für Sea-Watch arbeiten.

Gegen Plastikmeere

Schwimmende Anti-Müll-Plattform (c) PGS

Am Anfang stand eine große Vision: die Weltmeere vom Plastik zu befreien. Bei einem Tauchgang vor den Kapverden im Atlantischen Ozean waren Marcella Hansch Unmengen an Plastik vor die Taucherbrille geschwommen. Sie war erschüttert über das Ausmaß der Verschmutzung. Und der Prognose, dass sich bis 2050 mehr Plastikteilchen als Fische in den Ozeanen befinden könnten. Im Rahmen ihrer Masterarbeit tüftelte die Architekturstudentin deshalb an einer schwimmenden Plattform, die Plastik im Meer an Ort und Stelle einfangen sollte. Aus ihrer Masterarbeit wurde ein gemeinnütziger Verein. Doch irgendwann kam die Einsicht: „Vielleicht ist die Vision für den Anfang zu groß.“

Marcella Hansch hat ein Umwelt-Startup gegründet. Ihr Ziel: Mithilfe einer schwimmenden Plattform Gewässer von Plastikmüll befreien. (c) PGS

Doch statt aufzugeben, entschied sich das Team von „Pacific Garbage Screening“, den Fokus des Projekts zu verlegen – ein Switch vom Meer in die Flüsse. „Nach vielen Gesprächen mit Meeresbiologen und anderen Experten haben wir erkannt, dass die Open-Sea-Solutions noch sehr kritisch gesehen werden“, sagt die 33-Jährige. „Die Langzeitfolgen sind noch nicht abzuschätzen.“ Statt eine Lösung für die Weltmeere zu bauen, soll die Plattform nun vorerst in den Flussmündungen installiert werden – um zu verhindern, dass der schwimmende Abfall das Meer überhaupt erst erreicht.

Anfangs arbeitete „Pacific Garbage Screening“ nur mit Ehrenamtlichen, mittlerweile konnte Marcella die ersten Stellen einrichten. Das Team besteht aus Biologen, Umweltwissenschaftlern, einem Wasserbau-Ingenieur – und eben Marcella, der Architektin. Den Ausstieg aus der Architektur bereut sie nicht. „Wenn ich alt bin und auf mein Leben zurückblicke, möchte ich nicht sagen: Ich habe zehn Hochhäuser, drei Laborgebäude und eine Konzerthalle gebaut. Dann möchte ich lieber sagen: Ich habe etwas getan, damit unser Planet länger bestehen bleibt.“

Wasser Marsch in Afrika

Lisa Bethke hat zwei Leben. Unter der Woche entwirft die Ingenieurin in einem Büro in Bremen Wasseranlagen: Schwimmbadtechnik für Gemeinden, kommunale Kläranlagen, Filtrationstechnik für Industriekunden. Nach Feierabend, an Wochenenden und in ihrem Urlaub engagiert sie sich ehrenamtlich bei „Ingenieure ohne Grenzen“, einer gemeinnützigen und privaten Hilfsorganisation. Der Verein unterstützt notleidende Menschen in aller Welt beim Aufbau von grundlegender Infrastruktur: Wasser- und Sanitärversorgung oder der Bau von Kliniken und Schulen.

Die „Ingenieure ohne Grenzen“ sind weltweit aktiv, doch auf ein Projekt ist Lisa besonders stolz: In Tansania kümmerte sie sich als Bauleiterin um die Wasserversorgung eines Mädcheninternats. Das Ziel: Zisternen auf dem Schulcampus zu installieren, die sich während der Regenzeiten mit gefiltertem Regenwasser füllen, um es für die Trockenzeiten zu speichern. Lisa war auch selbst in Tansania, um vor Ort mitzuhelfen. „Die Technik war herausfordernd“, erinnert sie sich. „Bei der Zusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens dauern Projekte häufig länger, weil die Baustoff-Versorgung schwierig ist.“ Oftmals würde auch die technische Expertise fehlen, weshalb sich die Beteiligten vor Ort über Unterstützung aus Deutschland freuen.

Lisa Bethke beim Testen des Zisternenwassers, (c) Ingenieure ohne Grenzen e.V.

Der Projektpartner in Tansania, die Nichtregierungsorgan Mavuno, habe aber super kooperiert. „Wir haben über 1000 Menschen mit Wasser versorgt. Und als die Zisternen fertig waren, die Pumpe stand und die Schule sich selbst versorgen konnte, gab es ein großes Fest“, erinnert sich die 34-Jährige. „Das war ein tolles Gefühl.“

In Deutschland kümmert sich Lisa bei „Ingenieure ohne Grenzen“ auch um vereinspolitische Angelegenheiten, seit 2018 ist sie im Finanzvorstand. Die ehrenamtliche Arbeit sei zeitintensiv, mindestens zehn Stunden pro Woche kämen zusammen. Die Warum-Frage stellt sie sich nie, stattdessen eine andere: „Warum engagieren sich nicht alle ehrenamtlich, die ein gutes Maß an Ausbildung genossen haben? Ich bin gut ausgebildet, habe so viel Glück mit meinem Pass – daher finde ich es toll, wenn ich mein Wissen teilen kann.“

Für Deutschlands Sicherheit

Ihren vollen Namen darf Nora gegenüber Journalisten nicht nennen. Genauso wenig darf sie ihren Freunden verraten, wer ihr wahrer Arbeitgeber ist. Der Grund: Sie 29-Jährige arbeitet für den Bundesnachrichtendienst (BND), eine Behörde, die Deutschland vor Gefahren wie Terroranschläge und Cyberattacken schützt. Als IT-Expertin sorgt sie dafür, dass ihre Kollegen im Ausland besser und sicherer miteinander kommunizieren können. Konkretere Details zu ihrer Tätigkeit darf sie nicht preisgeben.

Vor ihrem Jobeinstieg studierte Nora Ingenieurswissenschaften mit Schwerpunkt Maschinenbau. Schon während der Schulzeit sei ihr klar gewesen, dass sie nicht für einen Konzern arbeiten möchte, sondern für den öffentlichen Dienst. „Ich konnte mir nicht vorstellen, ein Leben lang in der Wirtschaft zu arbeiten. Das Einzige, was ich geleistet hätte, wäre Profit für ein Unternehmen zu erwirtschaften.“ Beim BND sei das anders. „Jeder beim BND, egal welche Tätigkeit er ausführt, ist ein Zahnrad des großen Ganzen. Wir tragen alle dazu bei, dass die Sicherheitslage in Deutschland besser wird.“

Als Frau ist Nora im Sicherheitsbereich die Ausnahme. Sie ermutigt auch andere Frauen mit MINT-Profil, sich beim BND zu bewerben. An ihren eigenen Bewerbungsprozess erinnert sie sich noch genau. Nach einem intensiven Auswahlverfahren mit Assessment Center und diversen Gesprächen sei ihr ganzes Leben durchleuchtet worden: Sie musste unzählige Unterlagen einreichen, Angaben zu Freunden, ehemaligen Kommilitonen und Bekannten machen, Auslands- und Urlaubsreisen anführen. „Das war schon ein bisschen merkwürdig.“

Über 400 verschiedene Berufe gibt es beim BND, für viele Stellen sind Fremdsprachenkenntnisse von Vorteil. Was die Soft Skills angeht, setzt der BND vor allem auf stille Helden. Dass man gegenüber Bekannten und Freunden nicht mit Joberfolgen angeben dürfe, liege nämlich nicht jedem. Aus der Pressestelle heißt es: „Wer prahlen will, ist hier falsch. Man braucht die Fähigkeit zum Understatement.“



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